Die Corona-Pandemie nimmt derzeit Einfluss auf alle Lebensbereiche, verändert meist auch die eigene Arbeitssituation und somit zwangsläufig auch den Arbeitsmarkt. Statt der gewohnten Debatte um den Arbeitnehmermarkt und den „War for talents“ dominieren Kurzarbeit, Stellenabbau und Rezession derzeit die mediale Berichterstattung. Im Interview erklärt Britta Wöhrmann, Partnerin im ifp, welche Auswirkungen die Pandemie auf den individuellen Arbeitsmarkt hat.
Frau Wöhrman ist Diplom-Psychologin und systemische Beraterin und verantwortet im ifp den Branchenschwerpunkt Bildung, Wissenschaft und Dienstleistungen.
Dr. Inga Freienstein: „Liebe Frau Wöhrmann, wie verändert die Pandemie derzeit den Arbeitsmarkt für Akademikerinnen und Akademiker?“
Britta Wöhrmann: „Wer hätte im Februar für möglich gehalten, wie massiv COVID-19 in unser persönliches, gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben eingreift? Und natürlich hinterlässt ein solcher Jahrhunderteinbruch des deutschen Bruttosozialproduktes seine Spuren, auch, oder gerade im Arbeitsmarkt. Dennoch zeigt sich, wie auch nach der Finanzmarktkrise, Akademiker haben eine deutlich bessere Immunität gegen negative Folgen wie Arbeitsplatzverlust oder Kurzarbeit. Aktuell gehen vor allem in dienstleistungsorientierten Branchen wie Gastronomie, Handel, Freizeitwirtschaft, die traditionell einen geringen Akademikeranteil haben, Jobs verloren.
Wir sehen, wie erfolgreich sich die Tätigkeiten von Akademikern virtualisieren und ins Homeoffice verlagern lassen und mit wieviel Kreativität und Flexibilität sie auf die neuen Herausforderungen reagieren. Wir beobachten steile Lernkurven in neuen Organisationsformen, Kompetenzgewinne, beispielsweise bei der Führung auf Distanz und hohe Eigenverantwortung.“
„Welche Entwicklungen beobachten Sie in Deutschland?“
Britta Wöhrmann: „Unser eigenes Geschäft hat sich nach einem ersten Schockmoment, der kurzfristig zum Einfrieren einiger Beratungsmandate geführt hat, erfreulich schnell entspannt. Der Wunsch, in den Normalbetrieb zurück zu kehren, ist auf allen Seiten groß. Selbstverständlich sind auch wir in den Auswahlprozessen zu Videoformaten geswitcht, die wir nach pragmatischen Anfängen konsequent professionalisiert haben. Die Lernkurve war dabei steil und hat uns differenzierte Potenzialeinschätzungsverfahren und eine Erweiterung der Beurteilungskriterien beschert. Ein Rat daraus, nutzen Sie Ihr Umfeld als Teil der Selbstpräsentation, das muss nicht immer die Bücherwand sein, doch rechnen Sie damit, dass auch Kleinigkeiten wahrgenommen werden, positiv wie negativ. Wer es geschickt versteht, die fehlende Nebenkommunikation rund um die Kaffeetasse zu ersetzen und so die Beziehungsebene zu stärken, macht Punkte.
Vor der finalen Entscheidung will man sich aktuell ,richtig‘ kennen lernen. Sich allein virtuell aufeinander einzulassen, ist auf der Führungsebene noch nicht etabliert. Überdies sehe ich den Wert, einen Bewerber außerhalb seines eigenen ,Zuhause-Biotops‘, außerhalb seiner Sicherheitszone, zu erleben. Das treibt die ,Vorstartspannung‘, eine gesunde, aussagekräftige Nervosität. Und die braucht es wohl auch, denn für uns zeichnet sich eine deutliche Veränderung ab. Es scheint sich eine stärkere Spreizung zwischen mittelmäßig und hochqualifiziert zu entwickeln. Unternehmen in der Krise agieren vorsichtiger, sie setzen verstärkt auf Sicherheit, gerade bei Personalentscheidungen. Anders als noch zu Beginn des Jahres, als Führungskräfte Mangelware waren, und dies im Zweifel auch zu Zugeständnissen in der Qualifikation geführt hat, machen die Unternehmen heute keine Kompromisse und verlangen eine glasklare Passung.“
„Welche Chancen zeichnen sich ab?“
Britta Wöhrmann: „Die größten Chancen liegen aus meiner Sicht in der persönlichen Weiterentwicklung. Was will ich wirklich? Was sagen mir die Veränderungen durch die Krise? Was genieße ich vielleicht sogar, was lerne ich daraus? Wie passt das in die sich ebenfalls beschleunigt verändernde Unternehmenswelt? Neue Formen der Zusammenarbeit entstehen, virtuell, in Präsenz, hybrid. Und es wird immer klarer: Das geht nicht mehr weg. Der Geist des Wandels wird zum Dauergast, Tempo, Flexibilität und Veränderungsbereitschaft, Neugier, Gestaltungswille sind allesamt Kompetenzen, die die Chancen schon in sich tragen. Chancen drängen sich selten auf, sie wollen gefunden werden. Die Krise zeigt, dass lebenslanges Lernen und Flexibilität auch mit Blick auf Job- und Rollenwechsel Teil unserer Zukunft sind.“
„Was empfehlen Sie Wechselinteressierten in Zeiten von Corona?“
Britta Wöhrmann: „Das, was ich immer empfehle, völlig unabhängig von Corona. Um seine Position erfolgreich zu wechseln braucht man ein ,Hin‘- und ein ,Weg‘-Motiv. Vielen Kandidaten fällt es dabei leicht zu argumentieren, warum sie ihre alte Position verlassen möchten. Doch es ist unerlässlich, auch das ,Hin‘ glaubhaft zu machen. Was zieht mich an der Stelle an? Warum passt sie zu mir? Was bringe ich mit? Würde ich mich selbst auf der Position einstellen? Erfolgreiche Bewerbungsprozesse zeichnen sich immer durch Treffsicherheit aus, niemals jedoch durch eine besonders hohe Anzahl an Bewerbungen. Sparen Sie sich und anderen die Zeit für Aussendungs-Aktionitis. Liebloser Massenversand bleibt dem Empfänger nicht verborgen.“
„Was empfehlen Sie Studierenden im Hinblick auf zukunftssichere Branchen und Positionen?“
Britta Wöhrmann: „Zukunftssicherheit liegt in uns selbst und unseren Stärken, nicht in Branchen oder Positionen. Man muss Dinge mit einer gewissen Überzeugung tun. Wenn man merkt, dass man sich dauerhaft verbiegen muss, dass bestimmte Dinge nicht zu einem passen, sollte man sich lieber etwas Anderes suchen und nicht auf vermeintliche Sicherheit schielen. Das beginnt schon vor dem Studienabschluss: Ich empfehle, lieber ein verrücktes Projekt in Russland zu übernehmen, als das dritte Praktikum in einer Unternehmensberatung oder in der Investmentbank zu absolvieren. Erweitern Sie Ihren Horizont und bilden Sie dadurch Ihre Persönlichkeit! Nach dem Abschluss gilt: Beim Berufseinstieg nicht einseitig auf Sicherheit und Geld schauen, sondern eher darauf, was Sie in dem Job lernen können, wer Ihre Bezugspersonen im Unternehmen sind, denn diese Menschen werden Einfluss auf Ihre Entwicklung haben. Nur so können Sie langfristig Karriere machen.“
„Welche Persönlichkeitseigenschaften sind in Zeiten der Transformation besonders gefragt? Beobachten Sie Veränderungen in den Anforderungsprofilen? Wenn ja, welche?“
Britta Wöhrmann: „Was ist anders? Gar nichts, außer, dass es immer schneller geht. Die Krise ist ein echter ,Change-Booster‘. Um da mithalten zu können sind Eigenschaften wie innere Veränderungsbereitschaft und Flexibilität unabdingbar. Grundsätzlich wird mehr ausgehandelt, man ist schneller dabei, auszuprobieren und auch aus Fehlern zu lernen. Um Transformation zu gestalten, geht es um mehr. Hier sind reife, ausgewogene Persönlichkeiten als Führungskräfte gefragt. Menschen, die Richtung geben und Haltung zeigen. Das war in den ersten Jahren des ifp Anfang der 60er Jahre so, das ist heute so und das wird auch in Zukunft so bleiben.“
„Welche Art von Kontaktaufnahme zum ifp empfehlen Sie interessierten Leserinnen und Lesern? Gibt es auch die Möglichkeit eines persönlichen Gesprächs, bevor man sich in einer Datenbank registriert?“
Britta Wöhrmann: „Am besten ist es, sich auf ein konkretes Mandat zu beziehen. All unsere Suchaufträge und auch alle Positionen in eigener Sache finden Sie auf unserer Homepage. Der verantwortliche Berater freut sich über Ihren Anruf oder eine E-Mail. Bei generellem Wechselinteresse empfehle ich, sich über Ihr ,Hin-Motiv‘ klarer zu werden. Wenn Sie dazu konkrete Vorstellungen haben, können Sie auch Ihren Lebenslauf senden, um dann mit uns ins Gespräch zu kommen.“
„Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, Frau Wöhrmann.“
Interview aus dem Hochschulmagazin „Vorsprung Karriere“, Ausgabe Oktober 2020